Welchen Einfluss hat ein Tweet?
Welche Wirkung erzeugt Twitter in der realen Welt? Man könnte meinen, ein einziger gut platzierter Tweet besitze die Fähigkeit «to #MakeAmericaGreatAgain». Zumindest wurde Donald Trump damit zum US-Präsidenten gewählt – oder nicht?

Donald Trump auf Twitter
von Peter Gloor*
In diesem Artikel möchte ich untersuchen, ob Twitter einem/r aufstrebenden Leader/in helfen kann, die Welt zu verändern, Gehör für eine Sache zu finden oder ihre bzw. seine Karriere zu pushen. Dazu werde ich als Erstes das Twitter-Verhalten der berühmtesten Personen der Welt genauer anschauen und dann ein paar typische Eigenschaften der aktivsten und bekanntesten Twitterer identifizieren.
Im Rahmen eines Projekts mit dem GDI Gottlieb Duttweiler Institute bestimmten wir die einflussreichsten Menschen der (englischsprachigen) Welt anhand ihrer Prominenz bei Wikipedia. Zentrales Kriterium dabei war eine Metrik, die wir «Reach-2» nennen: Dieser Name bezieht sich darauf, wie viele Personen man über zwei Verbindungen erreichen kann.
Dann haben wir untersucht, ob es bei den 100’000 einflussreichsten Personen auf Wikipedia Korrelationen zwischen dem Rang in der Reach-2-Wikipedia-Liste und der Zahl ihrer Follower bei Twitter gibt. Das Ergebnis: eine schwache Korrelation von 0,3. Wenig überraschend zählen einflussreichere Personen tendenziell mehr Follower. Es besteht jedoch keine Korrelation zwischen der Anzahl Tweets einer Person und ihrem Einfluss in der wirklichen Welt, gemessen an Reach-2. Daraus lässt sich folgern: Egal wie viel man twittert, es verhilft einem nicht zu mehr Einfluss!
In der Liste der Twitterer mit den meisten Followern zeigt sich ein deutliches Übergewicht der Entertainment-Sektoren. Hier die Top-20-Liste:
Name | Twitter Follower |
---|---|
Katy Perry | 105704538 |
Justin Bieber | 102737326 |
Barack Obama | 96468561 |
Taylor Swift | 85604763 |
Rihanna | 81333384 |
Ellen DeGeneres | 74979901 |
Lady Gaga | 72837019 |
Justin Timberlake | 62988786 |
Cristiano Ronaldo | 62726679 |
Kim Kardashian | 56591054 |
Britney Spears | 55887840 |
Ariana Grande | 54645815 |
Selena Gomez | 53737379 |
Demi Lovato | 50930613 |
Jimmy Fallon | 49528047 |
Shakira | 48820531 |
Jennifer Lopez | 43784074 |
Donald Trump | 41625028 |
Bill Gates | 40391342 |
Oprah Winfrey | 39542153 |
Kaiserin und Kaiser des Twitter-Universums sind die Sänger und Schauspieler Katy Perry und Justin Bieber, gefolgt von Barack Obama, der gemeinsam mit Donald Trump der einzige Politiker in der Gala der Musiker und Schauspieler ist. Bill Gates, der die Top-20-Liste zusammen mit Oprah Winfrey abschliesst, ist der einzige Unternehmer unter den 20 Twitterern mit den meisten Followern.
Schaut man sich die Berufe in der Liste der 30’000 Top-Twitterer gemäss Reach-2 an, so wird die führende Position von Schauspielern und Musikern bestätigt.
Beruf | Twitter Profile |
---|---|
Schauspieler | 9040 |
Musiker | 5843 |
Football/Fussball | 4424 |
Sänger | 3424 |
Politiker | 2629 |
Schriftsteller | 2309 |
Journalist | 2015 |
Model | 1138 |
«Schein» scheint im Twitter-Universum mehr zu zählen als «Substanz». Ruhm ist stärker als Macht, zumindest auf Twitter – Schauspieler, Musiker, Athleten und Sänger laufen Politikern den Rang ab. Menschen, die wirklich etwas bewirken, solche, die fleissig, aber hinter den Kulissen arbeiten, wie Unternehmer, Lehrer, Ingenieure, Wissenschaftler und Forscher, sind auf der Liste der acht populärsten Twitter-Berufe nicht zu finden. Es gilt zu beachten, dass diese Liste auf der eigenen Beschreibung der Twitter-Nutzer basiert – anscheinend treten wir auf der Twitter-Bühne lieber als Schauspieler und Models auf denn als Linguisten, theoretische Physiker oder Skateboarder (je neunmal auf unserer Liste vertreten).
Eine signifikante Korrelation von 0,5 liess sich feststellen zwischen der Anzahl Likes, die ein Tweet bekommt, und der Anzahl Twitter-Freunde – also der Anzahl Personen, denen man selbst folgt. Daraus lässt sich schliessen, dass fanatische Twitterer und Twitter-Süchtige mit vielen Twitter-Freunden nett zueinander sind und gegenseitig ihre Tweets lesen und liken, was die Existenz eines Twitter-«Echoraums» vermuten lässt.
Um die typischen Eigenschaften der verschiedenen Twitter-Profile besser zu verstehen, haben wir ein paar der führenden Profile in den verschiedenen Kategorien genauer angeschaut. Die aktivste Twitterin in unserer Analyse war eine Fotografin, Videokünstlerin und Dichterin aus England, die bereits 1,5 Mio. Tweets abgesetzt hat, was bedeutet, dass sie im Schnitt 42 Tweets pro Stunde versendet. Sie postet eigene Gedichte und Bilder, und sie belegt Platz 12 der meistgelikten Twitterer in unserer Untersuchung – das bedeutet, dass sie viele Likes von anderen Twitterern erhält. Auf diese Weise hat sie 1,7 Mio. Follower angesammelt.
Der zweitaktivste Twitterer in unserer Analyse ist ein Clickbait-Account, also ein Twitter-Bot, dessen Ziel es ist, Leser auf eine Website voll mit Werbung zu locken. Bis jetzt hat dieser Account 1,5 Mio. Tweets abgesetzt. Dasselbe gilt für den viertaktivsten Twitter-Nutzer, der sich als eine Radiostation ausgibt, aber in Wirklichkeit ebenfalls ein Clickbait-Account ist. Auch dieser Account versucht, Klicks zu generieren, um so an Werbegeld heranzukommen. Platz 3 in unserer Liste der aktivsten Twitterer belegt der Helpdesk von BT (British Telecom), der 1,46 Mio. Tweets mit Ratschlägen für Kunden versendet hat, was ihm bis jetzt 127’000 Follower einbrachte.
Ein weiteres typisches Profil in der «Schar mit ein paar hunderttausend Tweets» ist das des Eigenwerbung betreibenden Marketers: Dieser folgt in der Regel ein paar tausend Personen und hat etwa dieselbe Anzahl Follower, wodurch sich für ihn ein Echoraum mit «Twitter-Lärm» ergibt. Diese Leute prüfen zwanghaft die Anzahl ihrer Follower und tendieren dazu, gegenseitig ihre Tweets zu liken. Als Resultat haben sie das Gefühl, auf Twitter Popularität zu geniessen.
Schauen wir uns die Rangliste der Profile mit den meistgelikten Tweets an, so wird diese von der Musikband «icarusaccount» angeführt, die mit 226’000 Followern die meisten Likes gesammelt hat. Die Band postet ihre eigenen poetischen Liedtexte, bis jetzt ca. 8000 davon, was ihr über 1,9 Mio. Likes einbrachte. Rang 2 auf unserer Liste scheint jedoch von jemandem aus der Kategorie des selbstvermarktenden Marketers belegt zu sein: Eine Person aus Indien, die bereits 800’000 (Re)Tweets abgesetzt hat, womit sie über 900’000 Likes sammelte, vor allem für Retweets zur indischen Politik. Ähnlich sieht es bei Platz 3 aus: Hier findet sich eine Person aus Japan mit über 500’000 Tweets, die meisten davon Retweets von Baseballfotos und Filmen. Ihre Tweets erhielten fast 900’000 Likes, die höchstwahrscheinlich alle aus einem kleinen Echoraum stammen. Wir stellen also fest, dass es nur wenige Twitterer gibt, die echten Content liefern, wie die Videokünstlerin, die das aktivste Profil hat, oder die Band, die die meisten Likes verzeichnet. Ein grosser Teil der Twitter-Nutzer, seien es Bots oder echte Personen, twittert hauptsächlich in einem Echoraum, das heisst, ihre Tweets werden nur von einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten gelesen.
Meine Schlussfolgerung ist also, dass Twitter Personen dabei helfen kann, ihre Ideen zu verbreiten, aber niemanden davon überzeugen wird, diese Ideen auch zu akzeptieren. Meinungen werden beim Konsum anderer Medien gebildet, zum Beispiel von YouTube-Videos, Zeitungsartikeln oder ausführlichen Blog-Posts wie diesem hier.
Den originalen Blog Post lesen Sie auf swarmcreativity.blogspot.ch.
* Peter A. Gloor ist Research Scientist am Center for Collective Intelligence der Sloan School of Management des MIT, wo er ein Projekt zur Erforschung von Collaborative Innovation Networks leitet. Er ist Gründer und Chief Creative Officer der Social Network Analysis Softwarefirma galaxyadvisors. Er ist ausserdem Honorarprofessor an der Universität Köln, Distinguished Visiting Professor an der P. Universidad Cattolica Santiago de Chile und Dozent an der Aalto University Helsinki.